Vor 75 Jahren: Kriegsende in Nossen

Dieser Tage wird europaweit der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht. Mit der bedingungslosen Kapitulation zum 08. Mai 1945 endete der Krieg in Europa.

Nossen wurde bereits zwei Tage eher, am 06. Mai, von der Roten Armee erreicht. Auch hier soll es noch vereinzelt fanatischen Widerstand gegeben haben, von jenen die die Niederlage zu diesem Zeitpunkt leugneten. Die Löcher einzelner MG-Stellungen aus den letzten Kriegstagen können von Orts- und Geschichtskundigen heute noch in unseren Wäldern ausgemacht werden. Zu entscheidenden Kampfhandlungen kam es allerdings nicht mehr. Das, was von Hitlers Wehrmacht noch übrig war, flüchtete sich in jenen Tagen in Richtung Westen, um in amerikanische Gefangenschaft zu gelangen.

Bereits am 14. April wurde das KZ-Außenlager aufgelöst. Die Häftlinge wurden Richtung Leitmeritz über den Erzgebirgskamm getrieben bzw. per Bahn nach Böhmen transportiert. Auch in den Folgetagen passierten noch mehrere Todesmärsche unsere Stadt.

Von den Kriegszerstörungen blieb Nossen, bis auf wenige Bombentreffer, im Wesentlichen verschont. Tieffliegerangriffe insbesondere auf Züge tauchen aber in mehreren Zeitzeugenberichten auf. Sie sind in den letzten Kriegswochen für die gesamte Region, zum Beispiel das Wilsdruffer Schmalspurnetz, dokumentiert. Hierbei waren in Nossen 18 Tote zu beklagen. Insgesamt kostete der Krieg etwa 80 Nossener Zivilistinnen und Zivilisten das Leben. 270 Soldaten aus unserer Stadt fielen in Hitlers Krieg.

Im Irrglauben, den Vormarsch der Sowjets aufzuhalten, wurden noch die Eisenbahnbrücke und die Pöppelmannbrücke gesprengt. An letzterer kann man heute noch erkennen, dass der zur Stadt zugewandte Bogen, nach dem Krieg neu aufgebaut wurde. Die Rote Armee zeigte sich unbeeindruckt und nutzte zur Muldenquerung die Kleinbahnbrücke. Durch den mutigen Einsatz des damaligen Wirts des Huthauses konnte eine Sprengung der Autobahnbrücke verhindert werden. Nachdem die Ladungen bereits angebracht waren, kappte er nachts die Schnuren. An diese Tat, die ihn als „Wehrkraftzersetzer“ das Leben hätte kosten können, erinnert noch heute eine Tafel am Pfeiler der Autobahnbrücke.

Mit der Besetzung wurden russische Soldaten in verschiedenen Nossener Wohnhäusern einquartiert. Im Bereich des Muldentalsportplatzes errichtete die Rote Armee ihr Lager. Das Kriegsende bedeutete die Befreiung vom Faschismus, der Millionen Menschenleben kostete. Gleichzeitig blieb die Lebenssituation für viele Nossenerinnen und Nossener in den ersten Nachkriegsjahren äußerst prekär. Die  Versorgungslage war angespannt, Heizmaterial musste in Form von Holz oder Zapfen aus den Wäldern gesammelt werden. Häufig waren die Väter im Krieg gefallen oder befanden sich in Gefangenschaft, was die Familien vor zusätzliche wirtschaftliche Belastungen stellte. Mangelversorgung, Krankheiten und Seuchen, insbesondere der Diphterie-Ausbruch 1946/47, kosteten nochmals Menschenleben.

Christian Bartusch

Christian Bartusch lebt seit seiner Geburt in Nossen. In seiner Freizeit streift er mit Kamera durch unsere Heimat. Seit Dezember 2020 ist er Bürgermeister seiner Heimatstadt.